Deadpan Photography - Wenn der Blick keine Meinung hat

"Storytelling" - ein Begriff, der längst in der Fotografie angekommen ist. Ein schönes Bild allein genügt oft nicht mehr. Es soll Emotionen wecken, Stimmungen einfangen, Geschichten erzählen. Wer mich und meine fotografische Arbeit kennt, weiß, wie sehr ich genau das liebe - vor allem in Form von Bildserien, die gemeinsam eine Geschichte formen.

Wenn du schon einmal einen meiner Kurse besucht hast, kennst du sicher meine wiederkehrende Aufforderung: Überlege dir vor dem Auslösen, warum du genau dieses Motiv festhalten willst. Denn ich bin überzeugt: Ein Bild sollte immer auch etwas von dir erzählen. Es spiegelt - bewusst oder unbewusst - deine Sicht auf die Welt wider.

Oder, wie es der Fotograf Minor White treffend formulierte:

All photographs are self-portraits. | Minor White (1908-1976)

Emotion, Atmosphäre, subjektive Haltung - all das spielt in der kreativen Fotografie meist eine große Rolle. Aber was passiert, wenn genau das fehlt? Was, wenn wir unsere persönliche Meinung ganz bewusst außen vor lassen? Wenn ein Foto keinen Kommentar liefert - weder durch Perspektive noch durch Lichtstimmung, Bildbearbeitung oder Symbolik? Das geht. Und ich verspreche dir: Es macht unglaublich viel Spaß, diesen anderen Weg zu gehen.

Willkommen in der Welt der Deadpan Photography

Der Begriff "Deadpan" tauchte erstmals Anfang des 20. Jahrhunderts in einem Artikel über einen Bauchredner auf, der seine Kunst vollkommen emotionslos präsentierte - mit unbewegter Miene und ohne jede Regung im Gesicht. Die New York Times definierte den Begriff 1928 als das Spielen "einer Rolle mit ausdruckslosem Gesicht". In den folgenden Jahrzehnten etablierte sich "Deadpan" vor allem in der Comedy: Viele Komiker - von Buster Keaton bis hin zu modernen Stand-up-Künstlern - zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihr Publikum mit völlig unbewegter Miene zum Lachen bringen.

Diese Haltung - das absichtsvolle Zurücknehmen jeglicher sichtbarer Emotion - fand später auch Eingang in die bildende Kunst und schließlich in die Fotografie. Dort wurde Deadpan zu einer bewusst nüchternen, sachlichen Bildsprache, die auf jede Form von Emotionalität verzichtet. Keine Ironie, keine Dramatik, keine Wertung. Stattdessen: distanzierte Klarheit, eine oft fast schon lakonische Form der Beobachtung.

Typische Motive sind banale Orte, Zweckbauten, Menschen ohne erkennbare Mimik, Situationen ohne Geschichte. Es geht nicht um Effekte, sondern darum, die Dinge so zu zeigen, wie sie sind. Ohne sie zu interpretieren. Ohne ihnen Bedeutung zu geben.

Natürlich ist auch das eine Form von Aussage - aber eine sehr zurückhaltende. Gerade in einer Zeit, in der Bilder oft lauter sind als Worte, wirkt dieser Ansatz fast schon radikal leise.

Merkmale typischer Deadpan-Fotografie:

  • Nimm Abstand. Halte emotionalen wie physischen Abstand zum Motiv.
  • Suche das Unaufgeregte. Vermeide emotionale Motive, Dramatik oder visuelle Geschichten.
  • Bevorzuge schlechtes Wetter. Bewölkter Himmel, graue Tage - all das unterstützt den nüchternen Charakter.
  • Nutze flaches Licht. Keine harten Schatten, keine Highlights.
  • Sorge für reduziere Kontraste beim Fotografieren und in der Bearbeitung: flau, entsättigt, gerne Grau in Grau - ob in Schwarzweiß oder Farbe.
  • Achte auf eine ruhige Komposition. Gerade Linien, klare Strukturen. Architektur eignet sich gut - frontal aufgenommen, ohne Perspektivspielerei.
  • Lass die Dinge so, wie sie sind. Also keine Aufwertung, kein "schöner machen".

Wenn du tiefer in das Thema eintauchen möchtest, empfehle ich dir das YouTube-Video des finnischen Fotografen Peter Forsgård:

Vielleicht reizt dich dieser fotografische Blick ja - die Abkehr vom Spektakulären, das bewusste Verzichten auf Interpretation. Dann probiere es doch einfach mal aus. Im aktuellen foto.tipp findest du eine kleine Aufgabe dazu. Ganz ohne Drama. Ganz Deadpan.

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Deadpan – fotografieren ohne Emotion | zuletzt überarbeitet am: 25.07.2025
  • Ich finde den Ansatz sehr spannend und kommt definitiv auf meine Liste, wo ich mich näher damit beschäftigen möchte.
    danke für den Hinweis darauf

  • Auch mir sagte Deadpan gar nichts. Die Herangehensweise an diese Art der Fotografie ist sehr interessant. Ich musste mich geradezu anstrengen emotionslos meine Umgebung zu betrachten und entsprechende Motive zu erkennen. Ich weiß auch gar nicht, ob meine Ergebnisse aus dieser Challenge als Deadpan bezeichnet werden können. Auf alle Fälle war das wieder einmal eine sehr spannende Aufgabe, liebe Helga.

    • Herzlichen Dank für deinen Kommentar, liebe Kerstin. Es freut mich sehr, dass dir die Aufgabe gefallen hat.
      Viele Grüße
      Helga

  • Deadpan kannte ich nicht, finde dann Ansatz aber sehr faszinierend. Und tatsächlich habe ich auch schon ein paar wenige Bilder in der Art gemacht, ohne zu wissen was Deadpan ist. Auch wenn es im Grunde nicht meine Bildsprache ist, finde ich es spannend und oft braucht es tatsächlich nicht mehr. Ich werde das weiter verfolgen. Vielen Dank, liebe Helga, für diesen Blogbeitrag.

    • Danke für deinen Kommentar, liebe Christa. Dachte ich mir doch, dass dich das interessieren könnte. Du wandels „Deadpan“ sicher in „Christas-Deadpan“ um. Ich freue mich auf deine Bilder.

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    Das sagen Teilnehmer zu meinen Kursen

    Meine fotografische Zeitenwende

    Meine fotografische Zeitenwende... es gibt ganz klar ein Davor und Danach in meinen Fotos. Ich habe nicht nur wahnsinnig viel gelernt in diesem Jahr, sondern diese wertvolle Zeit veranlasste mich auch meine fotografischen Anliegen zu erforschen und auszuprobieren. Es war also auch fotografische Selbstfindung dabei. Aus heutiger Sicht: unverzichtbar.

    Eva

    Es ist keine Landschaft der großen "Aaahs und Ooohs" auf den ersten Blick (wie etwa die Südoststeiermark oder das steirische Ennstal), das Pichlschloss bei Neumarkt liegt scheinbar abseits des Geschehens und der touristischen Highlights und eröffnet doch den Weg zu unzähligen landschaftlich und kulturellen Kostbarkeiten, allesamt äußerst fotogen, versteckt und oft nicht auf den ersten Blick zu würdigen. Ein echter Gewinn, diese Landschaft am Fuße des Zirbitzkogels und am Übergang zu Kärnten kennengelernt zu haben (und gerne dorthin auch wieder zu kommen). Das herrliche, warme Wetter tat sein Übriges dazu, diese Woche zu einem Highlight werden zu lassen.
    Der Kurs "Farbe" war natürlich das gestaltende Merkmal dieser Woche, in unseren Arbeiten ging es dann meist um Farbharmonie. War es anfangs noch mühsam, sich an das selbst gestellte Thema zu halten, wurde die Fokussierung dann aber zur Bereicherung und brachte uns dazu, anders und genauer hinzuschauen. Das Fotografieren war das eine, das andere wesentliche Teil waren aber die Bildbesprechungen. Helgas unbestechlicher Blick ("Der Fleck muss weg"), ihre konstruktive Kritik und ihr Humor lassen einen jedoch nie als Verliererin zurück, auch wenn man einmal arg daneben liegt. Danke dafür!
    Jeder Abend fand seinen anregenden Ausklang im Roten Salon bei rotem Schilcher, Schilchersturm oder Gemischtem Satz und ausführlichen Gesprächen. Am Ende mussten immer seeehr viele Gläser weggeräumt werden.
    Es war wieder einmal eine optimale Woche: Ich habe viel gelernt und Spaß dabei gehabt. Es möge noch viele solche Zeiten geben!

    Eva ... "Farbe", Fotowoche im Pichlschloss

    Dein Input motiviert mich

    Ich bin jedes Mal, wenn ich an meinen Fotoprojekten arbeite, sehr glücklich, mich für Deine Meisterklasse entschieden zu haben. Die Meisterklasse ist nicht einfach, sie fordert mich heraus. Und genau das ist gut so. Dein Input motiviert mich und hilft enorm, mich weiter mit meiner Fotografie auseinanderzusetzen und zu verbessern. Danke!

    Irena
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