Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern nichts mehr weglassen kann.| Antoine de Saint-Exupéry (1900 – 1944)
Die Schwierigkeit, sich zu beschränken
Das fünfte Modul der Meisterklasse beschäftigt sich mit dem Thema "Die Kraft der Reduktion". Das Modul besteht aus zwei Teilen:
1. Isolieren und Weglassen
Im ersten Teil lernen die Teilnehmer, mit welchen Methoden sie den Fokus im Bild auf das Hauptmotiv/die Kernaussage (dem König im Bild) lenken können. Wie stellt man den König in den Mittelpunkt und lässt alles andere in den Hintergrund treten?
Das ist kein Problem im Studio: Man wählt einen passenden Hintergrund und platziert darauf oder davor nur die Objekte, die dem König dienen. Was aber macht man draußen? Da stören Mülltonnen oder parkende Autos vor den Gebäuden, stehen Bäume und Büsche im Weg, oder es laufen ständig Personen ins Bild. Was tun?
2. Reduzierte Bilder zu den Genres der Fotografie
Im zweiten Teil der Aufgabe sind Bilder zu den wichtigsten Genres der Fotografie gefordert:
- Natur- und Landschaftsfotografie
- Portrait und Streetphotography
- Objektfotografie und Stillleben
Als ich das Modul vor einigen Jahren entworfen habe, hatte ich große Bedenken: Ich fürchtete, dass die Aufgaben für ein fünftes Modul der Meisterklasse viel zu einfach wären. Weit gefehlt! Für die meistern Teilnehmer der Meisterklasse ist Modul 5 eine echte Herausforderung.
Du stehst mit der Reduktion auch auf Kriegsfuß? Dann helfen dir sicher die folgenden Hinweise. Zunächst aber möchte ich die Begriffe "Reduktion" und "Minimalismus" näher beleuchten. Die beiden Stile werden oft verwechselt oder gar in einen Topf geworfen. Ich finde aber, es gibt kleine Unterschiede zwischen ihnen:
Reduziert oder minimalistisch?
Reduzierte Bilder
- Das Hauptziel von reduzierten Fotos ist es, eine klare und prägnante Botschaft zu vermitteln.
- Die Aufmerksamkeit des Betrachters wird durch Isolieren/Weglassen auf den König im Bild gelenkt.
- Eine einfache Bildgestaltung mit klaren Linien und wenig Farben unterstreichen den Effekt.
Minimalistische Fotos
Minimalistische Fotos gehen einen Schritt weiter.
- Sie betonen die Einfachheit und Leere im Bild, verwenden oft sehr wenige Elemente.
- Nur die Elemente werden gezeigt, die absolut notwendig sind, damit der Betrachter die Kernaussage versteht.
- Minimalistische Bilder sind extrem einfach, zeigen oft nur ein einziges Element und/oder beschränken sich auf eine Farbe.
- Die Wirkung wird verstärkt, wenn auch das Hauptmotiv klar und einfach ist. Statt ein reich verziertes Jugendstilhaus zeigt ein minimalistisches Foto lieber die Fassade eines modernen Gebäudes mit klaren Linien, Formen und Farben.
- Auch die Komposition eines minimalistischen Fotos ist einfach gehalten. Leeraum im Bild wird genutzt, um eine bestimmte Stimmung oder Idee zu vermitteln.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich minimalistische Fotos weit mehr auf das Wesentliche konzentrieren als reduzierte Bilder. Sie sind die extremste Form der Einfachheit.
Achtung
Es reicht nicht aus, das Hauptmotiv vom Rand aus ins Bild ragen zu lassen und der Rest des Fotos bleibt weiß. Dieser Effekt mag einem minimalistischen Stil sehr nahe kommen, aber er sollte nur dann genutzt werden, wenn durch ihn die bestimmte Idee oder Stimmung (siehe oben) betont wird. Frage dich also bei jedem Bild: Welche Art der Komposition unterstützt meine Kernaussage, dient dem König?
Achte vor allem darauf, dass das Bild überhaupt eine Aussage hat. Ein Bild muss ein Bild sein. Es sollte mich dazu anregen, es länger zu betrachten.
Stelle die richtigen Fragen
Fotografieren unterscheidet sich vom Knipsen, dass du dir die richtigen Fragen stellst, bevor du auf den Auslöser drückst.
Natürlich wirst du dich fragen, mit welchen Kameraeinstellungen das Motiv am besten zur Geltung kommt. Solche Fragen sind wichtig und tragen wesentlich zur Wirkung eines Bildes bei. Es macht nun einmal einen riesigen Unterschied,
- ob du mit einer geschlossenen oder offenen Blende,
- mit einer Weitwinkel- oder einer Telebrennweite fotografierst,
- die Kamera beim Auslösen still hältst oder bewußt bewegst.
Diese und ähnliche Festlegungen sind wichtig, machen aber nur Sinn, wenn du sie NACH den folgenden Fragen beantwortest (bei allen Fotos, nicht nur bei minimalistischen oder reduzieren Aufnahmen).
- Warum will ich das fotografieren?
- Was ist das (Haupt-)Motiv?
- Was will ich ausdrücken?
- Mit welchem Motiv/Ausschnitt gelingt dies?
- Was muss, kann, darf auf dem Foto zu sehen sein?
- Was soll nicht sichtbar sein?
- Was ist wichtig und soll sofort erkennbar sein?
- Welcher Bildaufbau eignet sich?
Kurz: Es geht darum, dass du herausfindest, was genau der König in deinem Bild ist. Es ist wie im richtigen Leben: Alles, was dem König dient, darf bleiben. Der Rest wird gnadenlos gekillt oder in die Verbannung geschickt (vielleicht durch Unschärfe?).
Schaffe Ordnung im Bild
Auf den meisten Bildern ist zu viel drauf. | Andreas Feininger (1906-1999)
Ein typischer Anfängerfehler ist es, möglichst viel auf ein Foto zu packen. Auf einem einzigen Bild sollen der gesamte Eiffelturm und auch Tante Frieda zu sehen sein. Das kann nicht gut gehen. Halte dich an die Devise:
Weniger ist mehr
Ein gutes minimalistisches Foto ist reduziert, löst aber Emotionen aus. Sonst ist es leer.
Sorge durch Weglassen, Andeuten und Beschneiden für einen einfachen Aufbau, ohne die Bildaussage zu ändern. Im Idealfall verstärkt der Aufbau die Bildaussage.
Der Kurs zum Thema
Weniger ist mehr
Weniger zeigen, mehr sagen: Die Kreativität unserer Kursteilnehmer in Bildern! Lass dich inspirieren.