Es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich hier im foto.blog ein Buch von Michael Freeman besprochen: Capturing Light. Heute möchte ich ein weiteres Buch aus der bewährten Feder dieses Autors vorstellen:

Einzigartige Fotos

Erprobte Wege zum herausragenden Motiv

Einzigartige Fotos, Michal Freeman, dpunkt-Verlag, foto.kunst.kultur

Dieses Buch ist völlig anders. Es ist kein Lehrbuch im üblichen Sinn - obwohl man eine Menge daraus lernen kann. Im Grunde dreht sich das gesamte Buch um ein einziges Thema, das aber in vielen verschiedenen Facetten: 

Sich auf das Motiv einlassen 

Klingt einfacher, als es ist. Und doch führt nur dieser Weg zu einzigartigen Bildern. Man muss sich mit seinem Motiv auseinandersetzen, um ihm wirklich gerecht zu werden. Um Fotos zu schaffen, die aus dem üblichen Einheitsbrei herausragen. Schon der erste Satz in der Einführung zeigt deutlich, worauf es in dem Buch hinausläuft:

Wenn Sie sich wirklich für Fotografie interessieren, müssen Sie eine Verbindung zu dem eingehen, was Sie fotografieren. Und dazu brauchen Sie Zugang. Um Fotos aufzunehmen, die anderen nicht gelingen, geht es ausschließlich um den Zugang zu dem Motiv.“

Wer mit dem Fotografieren anfängt, kümmert sich zunächst einmal um die Technik.

  • Wie muss ich die Kamera einstellen, um das Bild perfekt zu belichten? 
  • Wie stelle ich den Weißabgleich ein?
  • Wie schaffe ich es, dass mein Bild an der gewünschten Stelle scharf ist? 
  • Wie ...?

Sind diese Hürden genommen, fängt der Spaß erst richtig an. Und das Lernen auch.

Spätestens, wenn man mit den Grundlagen vertraut ist, taucht die Frage auf: Geht da nicht noch mehr? Viele entdecken an dieser Stelle kreative Möglichkeiten, wie z. B. die Makrofotografie, das Malen mit der Kamera oder Wabi-Sabi. Wunderbare Methoden, sich kreativ auszudrücken.

Doch hier fängt das Dilemma bereits an: Es reicht nicht aus, mit der Kamera zu wackeln, um gute malerische Fotos aufzunehmen. Genauso wenig reicht es aus, alte oder verrostete Dinge abzulichten und sie mit dem Etikett „Wabi-Sabi“ zu versehen.

Die Gestische Fotografie oder Wabi-Sabi sucht man in Freemans Buch vergeblich. Was verständlich ist, denn Michael Freeman ist vor allem Reportage-Fotograf. Aber gilt es nicht für jede Art der Fotografie, dass man den Zugang zum Motiv haben, sich ganz auf das Motiv einlassen muss?

Die Reportage-Fotografie ist für mich eher fremdes Terrain. Dennoch habe ich das Buch geradezu aufgesaugt. An so vielen Stellen spricht mir der Autor aus der Seele.

„Ein Foto kann einfach nur eine Aufzeichnung sein, wenn Sie aber das Thema und das Motiv besser kennenlernen, werden Ihre Bilder immer tiefgründiger und nachhaltiger.“

Freemans stellt in dem Buch Fotos viele bekannte Fotografen vor und erzählt mit ihnen die Geschichten einzelner Fotos. Hintergrund-Stories, die Auskunft darüber geben, wie es zu den Bildern gekommen ist, wie die Fotografen Zugang zum Motiv erhalten haben und warum sie das Motiv genau so und nicht anders fotografiert haben. Spannend!

Es geht in dem Buch nicht darum, Wege aufzuzeigen, die man auch gehen könnte. Ich zumindest kann mir nicht vorstellen, dass ich eines Tages Zugang zu ultraorthodoxen Mitgliedern der Gemeinde Mea Shearim in Jerusalem haben werde. Der deutsche Fotograf Amos Schliack hat es geschafft. Zwei Bilder aus seiner Reportage über eines der ältesten Stadtviertel Jerusalems werden in dem Buch gezeigt. Amso Schliack bereichtet, wie es zu den Fotos gekommen ist.

Ich werde mit Sicherheit auch nicht undercover in ein Gefängnis eindringen, um mit meinen Fotos auf die Missstände in der Anstalt hinzuweisen. Hazel Thomson hat das Risiko auf sich genommen, in einem philippinischen Gefängnis zu fotografieren. Geheim, versteht sich. Man mag sich nicht vorstellen, was passiert wäre:

„Wir wussten, dass ich angeklagt und vermutlich eingesperrt werden würde, wenn man mich erwischte.“

All diese Dinge werde ich nie tun. Und doch kann ich aus den Fotos und den Geschichten zu den Bildern  wertvolle Lehren für meine eigene Fotografie ziehen.

Es geht aber nicht nur um für uns spektakuläre Orte. Im Abschnitt „Heimatgebiet“ stellt Freeman den britischen Fotografien Stuart Freedman vor, der den für London typischen „Egal Pie and Mash Shops“ ein Buch gewidmet hat. Heute muss man lange suchen, bis man eines der traditionsreichen Aalrestaurants findet. Freedman hat ihnen mit seinem Buch „The Englishman & the Eel“ ein Denkmal gesetzt.

„Exotische Orte sind für die Menschen, die dort leben, gar nicht exotisch. Und umgekehrt könnte Ihr eigenes Territorium für andere absolut eigenwillig und fantastisch dein.“

Die Kapitel des Buchs

  • Rechter Ort, rechte Zeit
    Im ersten Kapitel geht es darum, wie man es schafft, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und vor allem, wie man dran bleibt. Wir machen z. B. Bekanntschaft mit Matt Stuart, der für ein Projekt seine Tage in der Londoner U-Bahn verbracht hat. 20 Jahre lang!
  • Herz & Verstand
    In diesem Kapitel geht es um den Umgang mit Menschen. Wie schaffe ist es, mit meiner Kamera akzeptiert zu werden? Mit welchen Zaubermitteln öffnen sich verschlossene Türen? Wir lernen u. a. die oben bereits erwähnte Fotografin Hazel Thomson kennen und auch Pete Souza, dem ein Foto gelang, das um die Welt ging: Barack Obama im Gespräch mit Wladimir Putin.
  • Eintauchen
    "Wie tief sind Sie bereit zu gehen?" - damit beginnt das dritte Kapitel. Später lesen wir: "Indem Sie sich vertiefen, entscheiden Sie sich dafür, Zeit mit Ihrem Motiv, mit Ihrem Thema zu verbringen. Zunächst einmal die Kamera gesenkt zu lassen, ist sicher klug."  Freeman stellt uns Amos Schliack vor, der das abgeschiedene Leben der orthodoxen Juden in Mea Shearim eingefangen hat. Und wir begleiten Jennifer Barnaby nach Monaco. Sie erzählt uns, wie sie in die Menschenmengen in der Touristenhochburg eingetaucht ist.
  • Deep Learning
    "Der grundsätzliche Vorteil des Deep Learning, intensiven Lernens, besteht darin, dass sich fast jede Art von Aufnahme verbessert, wenn Sie sich tief in die Besonderzeiten und Anforderungen dessen einarbeiten, was Sie fotografieren. Und jedes Thema, jedes Motiv kann besonders sein, wenn Sie es so wollen."  In diesem Kapitel plaudert der Autor ein wenig aus dem Nähkästchen. Er erzählt uns, wie er sich der Foodfotografie angenähert hat. Wohl gemerkt: Freeman ist hauptsächlich Reportage-Fotograf.
  • Unkonventionell
    Ungewöhnliche Ideen stellt uns Michael Freeman im letzen Kapitel vor. Stuart Paton wehrt sich beispielsweise gegen Perfektion. "Unzulänglichkeit ist ... alles andere als ein Problem, sondern vielmehr der Antrieb meiner Fotografie."  Bewußte Fehler erlaubt, Schlamperei verboten. Oder Cindy Sherman, die seit 30 Jahren nur ein einziges Motiv fotografiert: sich selbst. Mit ihren Selbstinszenierungen hat sie es in die Top Ten der teuersten Fotografen der Welt geschafft.

Wer sollte das Buch "Einzigartige Fotos" unbedingt lesen? 

Wer sich intensiver mit der Fotografie, mit der Arbeit anderer Fotografen und der Analyse von Bildern auseinander setzen will, wird an dem Buch seine helle Freude haben. Wenn man dann noch den einen oder anderen Ansatz auf die eigene Arbeit umsetzt, wird man aus der Lektüre mit Sicherheit enorm profitieren.

Aber selbst wenn man gar nichts umsetzen kann oder möchte (was schier unvorstellbar ist), die Lektüre lohnt sich allemal. Es ist spannend zu lesen, wie die vorgestellten Fotografen sich gezielt auf ein Shooting vorbereitet haben. Wie sie Zugang zu ihrem Motiv gefunden haben. Das Buch eröffnet eine neue  Welt der Fotografie.

Einzigartige Fotos

Erprobte Wege zum herausragenden Motiv

Einzigartige Fotos, Michal Freeman, dpunkt-Verlag, foto.kunst.kultur

Michael Freeman
mitp-Verlag, Edition Profifoto
ISBN: 9783747501672
160 Seiten, komplett in Farbe


Einzigartige Fotos. Erprobte Wege zum herausragenden Motiv | erstellt am: 10.06.21 | überarbeitet am: 20.06.24

Über mich, Helga Partikel

Ich bin Fotografin aus Leidenschaft und habe mich ganz der kreativen Fotografie und der Fotokunst verschrieben. Gerne gebe ich meine Begeisterung und mein Wissen in Fotokursen und auf Fotoreisen weiter. Lass dich von mir anstecken!

{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

Das sagen Teilnehmer zu meinen Kursen

Kurz und knapp

Wertvolle Videos

Kurz und knapp: Die Videos sind super! Sie haben mir schon sehr geholfen.

Ricarda

Was will das Fotoherz mehr!

Die Woche war richtig klasse, ich habe viel gelernt, deine Tipps sind so wertvoll, ebenso die Organisation mit Tagesablauf und Bildbesprechung, die TeilnehmerInnen passten sehr gut zusammen, das Haus ist super und die Gastfreundlichkeit ohne Worte! Was will das Fotoherz mehr!

Klaus ... Fotokurs auf Sylt

Wertschätzender Austausch

Ich hatte an einigen Online Kursen von Helga teilgenommen, von denen ich jedes mal begeistert war. Diesmal durfte ich nach Sylt mit und war überwältigt: die Kombination aus Theorie, Bildbesprechung, Insel erforschen und wertschätzendem Austausch innerhalb der Gruppe ist die ideale Mischung, um sich selbst beim Fotografieren weiter zu entwickeln.

Nicole
>