Licht sehen und verstehen
Licht ist das A und O in der Fotografie. Es trägt wesentlich dazu bei, ob ein Foto gelungen ist oder nicht. Ob es anspricht oder kalt lässt. Es gibt Licht, das Magie in ein Foto zaubert. Nicht umsonst sind die „Goldene Stunde“ und die „Blaue Stunde“ bei Landschaftsfotografen so beliebt. Und nicht umsonst heißt Fotografieren „Malen mit Licht“. Ohne Licht kein Foto.
Aber Licht ist nicht gleich Licht. Mit dem richtigen Licht kann man einem Bild viel Gutes tun - und genauso viel Schlechtes, wenn das Licht nicht stimmt. Es gibt so viel zu berücksichtigen: Die Lichtart, die Richtung aus der es kommt, die Farbe, die Stimmung und für Outdoor-Bilder auch noch die Tages- bzw. Jahreszeit und das Wetter.
Wie gut, dass es ausreichend Lektüre auf dem Markt über das Licht in der Fotografie gibt. Eines der besten Bücher, die ich kenne, stammt von Oliver Rausch. Es ist bereits in dritter Auflage im dpunkt-Verlag erschienen:
Oliver Rausch: Gestalten mit Licht und Schatten
Licht sehen und verstehen
Oliver Rausch
Bevor ich auf das Buch näher eingehe, ein paar Sätze zum Autor:
Oliver Rausch ist Hauptdozent und Mitbegründer der Fotoakademie-Koeln, einer Fotoschule mit dem Schwerpunkt der beruflichen fotografischen Ausbildung. Fotografie studiert hat er an der "Royal Academie" in Den Haag und an der "Rijksakademie" in Amsterdam. Er arbeitete für die Werbung und für Magazine. Für seine künstlerischen und experimentellen Fotos erhielt er verschiedene Auszeichnungen und Nominierungen.
In seiner kurzen Vita auf der Seite der Fotoakademie steht zu lesen, dass er sich privat für Kunst, Psychologie und Naturwissenschaft interessiert. Es ist daher nicht erstaunlich, dass die psychologische Wirkung von Bildern für Oliver Rausch von großer Bedeutung ist. Durch die gezielte Setzung des Lichts, z. B. durch die Wahl der Lichtrichtung, kann die Wirkung eines Bildes bewußt gesteuert werden. Aber damit sind wir schon mitten im Buch:
Das Buch von Oliver Rausch
Fangen wir mit dem Aufbau des Buchs an. Es gliedert sich in neun Kapitel:
- Grundlegendes, bevor es losgeht
- Die drei Hauptlichtarten
- Die Wahl der Hauptlichtquelle
- Die Aufhellung
- Das Gegenlicht
- Die Lichttheorie bei mehreren Modellen
- Die Lichttheorie mit Tageslicht
- Der Systemblitz in der Lichttheorie
- Die Lichtarten bei Stills, Landschaften und anderen Motiven
Wenn du gerne Portraits fotografierst, wirst du dich schon beim Aufschlagen des Buchs angesprochen fühlen und wahrscheinlich denken: „Hier bin ich richtig“. Bewegst du dich lieber in anderen Genres, solltest du das Buch dennoch nicht vorschnell aus der Hand legen. Es macht Sinn, dass Oliver Rausch das Porträt als Hauptgenre gewählt hat:
„Auch wenn Sie selbst eher draußen und vor Ort fotografieren, lade ich Sie ein, zunächst einen kleinen Umweg durch das Studio (das kann auch Ihr Wohnzimmer sein) zu gehen… Der Umweg über das kontrollierte Ausleuchten im Studio hilft Ihnen, in kurzer Zeit viele unterschiedliche Lichhtwirkungen zu erkunden und ihr Auge zu schulen, während Sie im Freien von der Tageszeit und der Witterung abhängig sind.“
Klingt gut und macht Sinn, oder? Also packe die Baustrahler aus, hole dir ein Modell (oder einen Gippskopf, denn der tut es zur Not auch) und lege los.
Wie praktisch, dass das Buch in seiner Gliederung dem Setzen des Lichts folgt. Zuerst kommt das Hauptlicht, dann die Aufhellung, Effektlichter ... So kannst du das Buch nicht nur zum theoretischen Durcharbeiten nutzen, sondern es auch als Begleitung in der Praxis einsetzen. Schritt für Schritt näherst du dich damit dem perfekten Licht.
Man sieht es auf einem Blick: Der Autor weiß ganz genau, was man zum Lernen braucht: ausführliche Erklärungen, anschauliche Grafiken und Fotos, inspirierende Exkurse z. B. in die Welt der Kunst oder des Films. Alle theoretischen Erklärungen werden mit Bildern desselben Fotomodells präsentiert. Bewußt verzichtet wird auf spezielle Hintergründe, Make-up, Posen oder Requisiten. So lässt sich die unterschiedliche Wirkung des Lichts am besten vergleichen.
Um dennoch einen Eindruck zu erhalten, wie die Lichtsetzung bei komplexeren Bildaufbauten wird, gibt es zwischen den Theoriekapiteln Bildbeispiele von Teilnehmern der Fotoakademie Köln - jeweils mit ausführlichen Erklärungen zum gewählten Licht. Neidvoll und bewundernd schaue ich mir diese Fotos an. Weiter weg von „Knipserei“ können Bilder nicht sein. Wie heißt das Sprichwort so schön: Wie der Herr, so … 🙂
Wer als Nicht-Portrait-Fotograf dem Rat des Autors gefolgt ist und die ersten Kapitel im Studio nachvollzogen hat, wird im letzten Kapitel belohnt. Hier geht es um das Licht bei Stillleben, Landschaften, Architektur und anderen Motiven. Und man mag’s nicht glauben: Das Kapitel beginnt mit den Gesichtern in den verschiedenen Motiven. Ich hab’s ausprobiert. Wenn man die Lichtsetzung im Studio am Portrait verstanden hat, kann man leicht das neu erworbene Wissen auf die Gesichter anderer Motive übertragen.
„Auch jedes dreidimensionale Motiv hat in der Regel ein deutliches Hauptgesicht und eventuell noch zusätzliche Nebengesichter, die weniger dominant, aber dennoch vorhanden sind. … Anhand von zunächst flächigen und dann immer komplexer werdenden Motiven, möchte ich Ihnen nun den Transfer der Nasentheorie auf diese neuen ‚Gesichter‘ veranschaulichen.“
Hand aufs Herz: Hast du beim Fotografieren einer Landschaft schon einmal an hochfrontales Licht oder Rembrandtlicht gedacht? Ich habe das nie getan - bis zur intensiven Lektüre dieses Buchs.
Wenn du mehr über das Licht und seine Wirkung wissen möchtest, solltest du die Mühe nicht scheuen, das Buch Schritt für Schritt durchzuarbeiten. Es ist jede Minute wert.
Oliver Rausch:
Gestalten mit Licht und Schatten
Licht sehen und verstehen
3., überarbeitete Auflage
382 Seiten, komplett in Farbe, Festeinband
dpunkt.verlag
ISBN Print: 978-3-86490-392-2