Sven Barnow: Achtsam fotografieren
Durch Fotografie zur inneren Ruhe finden.
Vor einigen Jahren habe ich das Buch "Psychologie der Fotografie: Kopf oder Bauch? Über die Kunst, Menschen zu fotografieren" von Sven Barnow in meinem foto.blog vorgestellt.
2022 ist ein weiteres Buch des Autors erschienen: Achtsam fotografieren. Durch Fotografie zur inneren Ruhe finden.
Der Titel macht neugierig, vor allem der Untertitel spricht mich an. Für mich war die Fotografie schon immer eine Art von Meditation. Werfen wir einen Blick in das Buch: Es ist in zwei Teile aufgeteilt:
- Einführung in das Konzept Achtsamkeit.
- Achtsamkeit in der fotografischen Praxis.
Teil 1: Einführung in das Konzept Achtsamkeit
Schon in der Einleitung zum ersten Teil wird mir klar: Hier bin ich richtig. Der Autor stellt die entscheidende Frage, mit der ich schon viele meiner Kursteilnehmer konfrontiert habe:
Warum fotografieren Sie eigentlich?
Er gibt vier Gründe an:
- Zur Selbstdarstellung. Man will Erfolg haben und bewundert werden.
- Aus Euphorie und dem Wunsch, Schönheit einzufangen und zu teilen.
- Um Geschichten zu erzählen und zu dokumentieren.
- Zur Darstellung wichtiger Themen, z. B. aus politischem, wissenschaftlichem Interesse.
Welche Gründe hast du? Dies herauszufinden lohnt sich unbedingt. Swen Barnow führt in seiner Einleitung die o. g. Gründe weiter aus und regt dazu an, innezuhalten und zu reflektieren.
"Achtsamkeit vs. Ablenkung" ist das Thema des zweiten Abschnitts im ersten Teil des Buchs. Lassen wir uns nicht alle zu sehr und zu schnell ablenken? Wie sagte T. S. Elliot (1888-1965) einst so wunderbar?
Wir sind abgelenkt von Ablenkungen durch Ablenkung.
Swen Barnow schreibt:
Ablenkungen, soziale Medien und Technikbegeisterung mögen ihre Berechtigung haben und können unser Leben bereichern. Allerdings sollten wir uns nicht zu stark davon abhängig machen, sondern reflektieren, dass ein abgelenkter Geist auch ein unachtsamer Geist ist.
Dem ist nichts hinzuzufügen, oder?
In dem folgenden Abschnitt führt Barnow in die achtsame Fotografie ein. Es ist wichtig, ohne Bewertung zu fotografieren, ohne zu kategorisieren und dabei vielleicht neue Dinge entdecken. Achtsamkeit beinhaltet auch eine offene, nicht wertende Haltung den eigenen Gedanken und Gefühlen gegenüber.
Er schreibt:
Fotografieren in diesem Sinne ist nicht ausschließlich ein technischer Prozess zur Abbildung der Realität, sondern wird zur kontemplativen Tätigkeit - zum Mittel der Beschäftigung mit sich selbst, einer Art Emotionstagebuch oder als Möglichkeit, mit Bildern abzubilden, was mit Worten schwer zu sagen ist.
Das deckt sich mit der kreativen Fotografie, findest du nicht? Da fällt mir wieder mein Lieblingszitat ein, dass du sicher auch schon auswendig kennst, so oft wie ich es zitiere:
Ich dokumentiere nie, ich interpretiere immer mit meinen Bildern. Ich interpretiere, was ich in einem bestimmten Augenblick empfinde, nicht was ich sehe, sondern was ich empfinde.
André-Kertész (1894-1985)
Am Ende des Abschnitts räumt Sven Barnow mit typischen Mythen zur Achtsamkeit auf, wie z. B., dass achtsame Bilder "Zen-like" und auf das Wesentliche konzentriert sein müssen oder dass Achtsamkeit nur eine Modeerscheinung ist.
Ganz zum Schluß gibt es noch eine Übung. Da lacht man Herz: Der Autor regt ein "Tagesprojekt" an. Ein Miniprojekt mit nur drei Bildern. Sag ich's nicht immer? Projekte sind die Königsdisziplin. 🙂
Der erste Teil endet mit einem Abschnitt zur achtsamen Portraitfotografie, in dem der Autor auch Meister der Portraitkunst vorstellt und zitiert. An dieser Stelle sei noch einmal die Lektüre des oben erwähnten Buchs "Psychologie der Fotografie: Kopf oder Bauch? Über die Kunst, Menschen zu fotografieren" empfohlen.
Teil II: Achtsamkeit in der fotografischen Praxis
Nach so viel Theorie zum Thema "Achtsamkeit" kommt nun die praktische Umsetzung.
Barnow schreibt über "Das achtsame Portrait mit Text", "Die achtsame Reportage", "Achtsame Straßenfotografie - das Individuum im urbanen Kontext", "Gefühle achtsam fotografieren" und die "Achtsame Reisefotografie".
Lass uns den Abschnitt "Gefühle achtsam fotografieren" herausgreifen. Geht das überhaupt? Kann man Gefühle in Bilder umsetzen? Barnow beginnt mit Begriffserklärungen: Was sind Emotionen? Was sind Gefühle? Worin unterscheiden sie sich? Emotionen, so schreibt er, sind viel unmittelbarer und leiten direkt ein Verhalten ein. Gefühle hingegen sind komplexer und beruhen stärker auf Bewertungen.
Wir erfahren, wie andere Fotografen, z. B. der Portraitfotograf Marcus Schaefer, Gefühle in ihren Bildern ausdrücken.
Barnow schreibt:
Es geht mir bei der achtsamen Fotografie also nicht allein um den Prozess der Entschleunigung, sondern auch darum, ganz bei sich zu sein, die Empfindungen, Emotionen, Gedanken und körperlichen Sensationen, die Gefühle mit sich bringen, nicht urteilend, sondern akzeptierend wahrzunehmen und in die Fotografie einfließen zu lassen, sie also auf kreative Art und Weise zu explizieren.
Bilder + Erklärung
Was mir an diesem Buch besonders gefällt: Sven Barnow untermauert seine Worte mit zahlreichen Abbildungen (alle Schwarzweiß). Das Besondere daran: Er fügt nicht nur Bilder zur Auflockerung in den Text ein, sondern erklärt bei jedem einzelnen Foto, warum er es aufgenommen hat und auf welche Weise es zur achtsamen Fotografie passt.
Mein Resümee
Es gibt wahrscheinlich niemanden, der nicht weiß, was "Achtsamkeit" bedeutet - oder zumindest glaubt, es zu wissen. Vieles, was der Autor in dem Buch schreibt, klingt beim schnellen Durchlesen eher trivial. Beim schnellen Durchlesen. Genau das sollte man aber nicht tun.
Dieses Buch will achtsam gelesen werden. Es regt zum Nachdenken an, zum Innehalten, zum Reflektieren. Für mich ist es ein Buch, dass ich immer wieder in die Hand nehme. Die wunderbaren Fotos und Barnows Erklärungen dazu inspirieren und motivieren mich, in mich zu gehen und - JA! - auch zur Kamera zu greifen.
Sven Barnow: Achtsam fotografieren
Durch Fotografie zur inneren Ruhe finden.
236 Seiten
dpunkt.verlag
ISBN Print: 978-3-86490-894-1
ISBN PDF: 978-3-96910-747-8
ISBN ePub: 978-3-96910-748-5