Über die Tiefe im Bild
In der Fotografie ist Raum eine optische Täuschung. Wir bilden eine dreidimensionale Welt (Höhe, Breite, Tiefe) zweidimensional ab. Die Tiefe fehlt im Foto. Wollen wir sie darstellen, müssen wir in die Trickkiste greifen.
Warum ist die Tiefenwirkung überhaupt wichtig? Sie beeinflusst wesentlich, wie ein Bild wahrgenommen wird und emotional wirkt. Meist wird versucht, Tiefe zu erzeugen. Aber ist es nicht manchmal auch sinnvoll, sie im Bild zu unterdrücken?
In diesem Beitrag stelle ich dir Methoden zur Unterdrückung bzw. Darstellung von Tiefe vor:
Tiefe im Bild: die Methoden
Brennweite
Die Brennweite kann viel mehr als „nah ran“ oder „viel drauf“. Was oft übersehen wird: Eine Weitwinkel-Brennweite zieht die Bildelemente auseinander und schafft damit Raum. Eine Tele-Brennweite schiebt die Elemente zusammen. So kannst du den Raum unterdrücken.
Diese Tatsachen solltest du immer berücksichtigen, wenn du dich für eine Brennweite entscheidest.
- Weitwinkelobjektive sind sehr beliebt, um z. B. Räume größer erscheinen zu lassen oder Landschaften weitläufig darzustellen. Für Portraits sind sie jedoch ungeeignet. Probiere es aus!
- Tele hingegen verwendet man gerne für Porträts, da sie das Modell schlanker erscheinen lassen. Mit einem Teleobjektiv kannst du auch prima flächige Muster und Strukturen fotografieren.
Dasselbe Motiv, der fast gleiche Standort. Links mit Weitwinkel - 24 mm, rechts mit Tele - 70 mm.
Licht und Schatten
Schatten verstärken einen räumlichen Eintruck. Bring also gezielt Schatten ins Bild, wenn du räumliche Tiefe darstellen willst. Vermeide Schatten, um den Raum zu unterdrücken.
Mit künstlichen Lichtquellen kannst du Licht- und Schatteneffekte gezielt setzen und so dreidimensionale Formen und Tiefe erzeugen.
Lichtrichtung
Auch die Richtung, aus der das Licht dein Hauptmotiv beleuchtet, ist wesentlich.
- Seiten- und Streiflicht bringen Tiefe ins Bild.
- Extremes Gegenlicht erzeugt flache Silhouetten.
- Mitlicht (Frontlicht) macht das Bild flach.
Probiere es an einem Baum mit knorriger Borke aus. Fotografierst du ihn mit Mitlicht, wird die Rinde alles andere als knorrig wirken. Seiten- oder Streiflicht sind angesagt.
Perspektive
Vermeide die Zentral-/Frontalperspektive, fotografiere von der Seite und bring Überschneidungen ins Bild, um räumliche Tiefe zu zeigen. Zur Unterdrückung des Raums fotografierst du aus der Zentral-/Frontalperspektive.
Bild links: Tiefenwirkung durch die Zweipunkt-/Übereckperspektive.
Bild rechts: Keine Tiefenwirkung, da von vorne ohne Fluchtpunkt fotografiert.
Größe der Bildelemente
Größenunterschiede von Dingen, von denen wir wissen, dass sie eigentlich gleich groß sind, geben einem Bild eine räumliche Wirkung. Vermeide solche Größenunterschiede, um Raum zu unterdrücken.
Die Objekte vorne sind deutlich größer als die Objekte hinten, aber wir wissen, dass alle Strandkörbe und alle Windräder gleich groß sind.
Linien
Konvergierende, also zusammenlaufende Linien, schaffen Raum. Das willst du gar nicht? Dann vermeide zusammenlaufende Linien.
Auch durch bewusst gesetzte horizontale Linien kannst du Raum schaffen: Wenn die Abstände zwischen den Linien immer enger werden, wird dies als Tiefenwirkung interpretiert.
Dasselbe Motiv. Der unterschiedliche Blickwinkel sorgt links für Tiefe, rechts für eine flache Darstellung.
Ohne Tiefenwirkung, da nur gerade Linien
Schärfentiefe
Durch eine geringe Schärfentiefe mit unscharfen Hintergrund rückst du das Hauptmotiv in den Fokus und erzeugst einen Tiefeneffekt - sofern du dies überhaupt möchtest. Fotografiere alles scharf, um die räumliche Wirkung zu unterdrücken.
Verblassen
Ein Phänomen bei Landschaftsaufnahmen: Weiter weg liegende Elemente wirken heller und haben einen leichten Blaustich. Unser Auge interpretiert diese Licht- oder Luftperspektive als Tiefe.
Man sieht deutlich, dass die Berge hinten immer heller werden.
Überlappung
Sorge dafür, dass Bildelemente teilweise von anderen Objekten verdeckt werden, um Tiefe zu simulieren und Vorder-, Mittel- und Hintergrund klar zu definieren. Ein Objekt, das unterhalb eines anderen Objekts oder auch hinter einem Objekt liegt, interpretiert das Auge als „weiter entfernt“. Vermeide Überlappungen, um den Raum zu unterdrücken.
Es ist eindeutig: Die Figur steht weiter hinten als der Kopf.
Bildaufteilung
Ein unterschiedlicher Abstand der Bildelemente von der Grundlinie wird als Tiefeninformation interpretiert. Bring verschiedene Ebenen ins Bild (Vordergrund, Mittelteil, Hintergrund), um Tiefe zu erzeugen. Alle Elemente auf derselben Ebene machen das Bild flach.
Es muss nicht immer der berühmte Zweig sein, der ins Bild ragt, um Tiefe zu erzeugen. Achte darauf, dass die Bildelemente einen Bezug zueinander haben.
Bild links: Im Vordergrund das Meer, im Mittelpunkt das Schilf und im Hintergrund der Wald schaffen Tiefe.
Bild links: Am gleichen Standwort. Keine Tiefenwirkung.
Der Vordergrund passt zum jeweiligen Motiv und erzeugt Tiefe.
Fluchtpunkt - Perspektive
Ein unterschiedlicher Abstand der Bildelemente von der Grundlinie wird als Tiefeninformation interpretiert. Bring verschiedene Ebenen ins Bild (Vordergrund, Mittelteil, Hintergrund), um Tiefe zu erzeugen. Alle Elemente auf derselben Ebene machen das Bild flach.
Methoden kombinieren
Du kannst die genannten Methoden natürlich kombinieren, um Tiefe zu erzeugen oder zu unterdrücken. Zur Übung empfehle ich dir aber, dir eine Methode nach der anderen vorzunehmen. Am besten du machst immer mindestens zwei Aufnahmen:
- Schaffung von Tiefe
- Unterdrückung von Tiefe
Tiefe im Bild - JA oder NEIN?
Warum und wann man Tiefe erzeugt
- Realismus
Soll dein Bild realistisch wirken, ist räumliche Tiefe entscheidend. Oft höre ich von Teilnehmern, dass sie vom Urlaubsbild enttäuscht sind. Sie standen auf einem Berg mit einem fantastischen Blick in ein tiefes Tal. Nur leider wirkte das Foto flach und zeigte absolut keine Tiefe. Mit den o. g. Tipps kann dir das natürlich nicht mehr passieren. - Komposition
Eine Tiefe im Bild kann das Auge des Betrachters durch das Bild führen. Setze Tiefe also ganz gezielt bei der Bildkomposition ein und leite z. B. mit Hilfe von Linien (gedachte oder reale) auf dein Hauptmotiv. - Emotionale Wirkung
Verstärke durch Tiefe die emotionale Wirkung deines Fotos. Sie kann ein Gefühl von Weite und Freiheit hervorrufen.
Warum und wann man die Tiefe unterdrückt
- Abstrakte Bilder
Vor allem bei abstrakten Bildern ist die Unterdrückung von Tiefe wesentlich. So lenkst du den Fokus auf die Formen, Farben und Texturen. - Fokussierung
Durch eine räumliche Wirkung können Bildelemente auftauchen, die für dein Hauptmotiv nicht wesentlich sind (du weißt schon: der König, siehe dazu den Beitrag xx). Durch eine flache Komposition bekommt dein Hauptmotiv alle Aufmerksamkeit, die es verdient. Das sorgt für Klarheit im Bild. - Minimalistische Bilder
Auch für minimalistische Fotos ist der Verzicht auf eine räumliche Wirkung wesentlich, um beispielsweise Klarheit, Einfachheit oder auch Isolation auszudrücken.
Durch das bewusste Schaffen bzw. Unterdrücken von Raum kannst du die Wirkung deiner Bilder verstärken und deine Bildaussage klar und eindrucksvoll vermitteln.
Ich wünsche dir viel Freude beim Fotografieren - mit oder ohne räumliche Tiefe im Bild.
Liebe Helga,
danke für den wertvollen Beitrag. Zum Thema minimalistisch und Tiefe, das werde ich beobachten. Danke.
Danke für deinen Kommentar, liebe Beatrice. Der freut mich sehr.
Liebe Helga,
Obwohl ich gerade im Kompositionskurs bei Dir gewesen bin, ist das wieder eine neue Perspektive dazu.
Ich bin begeistert wie Du das Ganze sehr informativ gegenüberstellst. Die Bildbeispiele dazu sind total aufschlussreich! …und auch die Fragen zur Tiefe habe ich mir so noch nie gestellt.
Je mehr ich über Komposition lese, lerne. ..um so mehr begeistert es mich.
Vielen Dank!!!
Das freut mich sehr, liebe Ulrike. Ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar. Und bleib weiter dran an der so wichtigen Komposition!!!
Liebe Helga,
vielen Dank für diesen guten und lehrreichen Beitrag über die Tiefe im Bild!
Gerne, liebe Christa. Herzlichen Dank für deinen Kommentar.